Espaces-temps

Dienstag, 12. Februar 2008

Vokabel-Rasa

Dieses Wort ist das arbiträre Resultat meiner Fehlorganisation. Jedenfalls entstand es bei meiner täglichen Vokabelarbeit am Notebook. Mir gefiel der Klang des Wortes und natürlich seine Bedeutung: Ich tippe die Unzahl von neuen Wörtern zwar in die Abbildung eines weißen Blattes auf einem Bildschirm (Tabula), nichtsdestotrotz ist mein Verstand bei diesem Prozess ebenso blank und leer (rasa). Ich eigne mir ein quasi unbekanntes Sprachprogramm an.

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Es reicht ja nicht, eine Sprache zu lernen, indem man existente Vokabeln durch fremde ersetzt. Die Benutzung der französischen Sprache ist aus meiner Sicht viel seltener sinnhaft und logisch als der deutsche Sprachgebrauch. Ein „erreur cognitive“! Wie erkläre ich einem Indonesier den semantischen Unterschied zwischen „durchbringen“ und „erbringen“? Optimal lernte ich also bei der direkten Anwendung, aber noch rede ich sehr wenig auf Französisch.
Da Sprache und Kultur eng verwoben sind und Geschichte besitzen, führen mich Beschriftungen in der Straßenbahn, Schilder an öffentlichen Orten oder Anweisungen vor Supermarkt-Kassen häufig in die Irre. Es gibt manchmal keine logische Erklärung für diesen oder jenen Anwendungsbezug eines Wortes. Deshalb rette ich mich häufig in die Welt der akademischen Begriffe. Vor allem die soziologischen Wörter sind häufig so abstrakt, dass ihre semantischen Mehrdimensionalitäten keinen Unterschied machen. Mit ein bisschen soziologischer Vorbildung macht jeder Satz nach zweimaligem Lesen mer oder weniger Sinn.
Ich denke an Schlüsselwörter wie „processus“ oder „mutuel“.
Ich habe mir bereits drei teure Bücher gekauft, die ich fleißig (einfarbig) bemale und kennzeichne. Sollte mich jemand in Strasbourg besuchen - bitte bring Textmarker in fröhlichen Farben mit. In einem Klassiker der Ethnologie fand ich folgende treffende Beschreibung meines Dilemmas: « Sans m’en rendre toujours compte, je dis ce que je peux avec les moyens linguistiques dont je dispose, non ce que je veux ». Dieses Zitat stammt aus der Einleitung des Buches « Anthropologie structurale » von Claude Lévi-Strauss.
Meine « confusion langagière » wurde mir erst recht deutlich, als ich beabsichtigte, drei Studentinnen auf Englisch anzusprechen. Ihr Dialekt klang durchaus glaubwürdig, ich hielt sie also für Briten. Wie sich herausstellte, hatte ich eine Konversation mit zwei Französinnen und einer Türkin begonnen, allesamt Studentinnen der Anglistik. Eine merkwürdige Situation: Ich erkannte schnell, dass wir beim Englisch bleiben würden, was mir auch eigentlich recht war. Gleichzeitig schämte ich mich, weil ich in dieses Land gekommen war, um Französisch zu sprechen. Zum Schluss verabschiedeten wir uns mit einem gekonnten „Good bye“ und ich war wieder alleine. Viel schlimmer: Die Plage der retrospektiven Betrachtung eines Gespräches befiel mich. Was hätte ich anders sagen können, was hätte ich auf Französisch geschafft?
Im Radio läuft gerade zwischen Jazzklassikern ein Song des aktuellen Albums von LCD Soundsystem. In welchem System bin ich gelandet? Um euch den abrupten Bruch in meiner Biographie, nennen wir es „Lebensweise“, zu verdeutlichen, muss ich folgende Tatsachen konstatieren:
1. Ich habe keine Verabredungen.
2. Ich lebe alleine.
3. Ich trinke Instant-Kaffee.
4. Ich gehe früh ins Bett.
5. Ich benutze kein Fahrrad.

Dieser Wendepunkt scheint eine Notwendigkeit zu sein, denn heute Morgen entdeckte ich eine weiße Strähne in meiner Haarpracht. Ich wiederhole: Strähne. Irgendwie muss ich viel Stress gehabt haben in den vergangenen sechs Monaten.

Sonntag, 10. Februar 2008

Démarches administratives

Ich genieße mein erstes Wochenende in Strasbourg, natürlich in einem Café. Hier laufen Swingmusik, die Rugby-Spiele der französischen Nationalmannschaft via Fernseher und irgendwo eine Kaffeemaschine, die mich mit café au lait versorgt.
Morgen beginnt meine zweite Woche an der Universität Marc Bloch. Ich habe mich einigermaßen eingerichtet. Auf dem Campus hat jeder Studierende Zugang zum WiFi der Universität und kann unbegrenzt surfen. In der Retrospektive war die Anmeldung gar nicht so kompliziert. Die ERASMUS-Koordinatorin gab mir alle wichtigen Adressen von Ansprechpartnern (Sekretariat der Sozialwissenschaften, Rechenzentrum, etc.) und beriet mich ein wenig bei der Auswahl der Module. Klingt auch zunächst einwandfrei, die Öffnungszeiten der Ämter scheint hier jedoch keiner zu kennen. Nur die Ämter selbst. Seltsamerweise ist die Universität völlig dezentral verwaltet, es gibt keine zentrale Instanz; weder als Internetpräsenz noch in Form eines Gebäudes. Der Campus besteht aus drei Universitäten, die unzählige Institute unterhalten. Und jedes Institut sitzt offensichtlich in zahlreichen Gebäuden, welche übrigens alle eigene Namen haben - und Nummern. Mir fällt erst jetzt auf, wie unverschämt verwirrend das ist.

Behördengänge

Eine Freundin aus Neufundland berichtete übrigens noch heute von einer Floskel der Franzosen, die sie des öfteren zu hören bekam: C'est pas possible. Äquivalent ist die Aussage: C'est pas chez moi. Ich habe mich hilflos weiterreichen lassen, was sollte ich auch einwenden? Nun belege ich 6 Veranstaltungen, von denen fast alle Vorlesungen sind. Wer das Gerücht kennt, französische Universitäten seien verschult, darf sich hiermit bestätigen lassen: Die Studierenden schreiben jedes Wort mit, auch jeden Punkt, jeden Spiegelstrich, den man in der Rhetorik des Referenten erahnen könnte. Nur ab und zu fragen sie den Dozenten, ob er die letzte Parenthese wiederholen könne. Ich selbst verstehe ja nur 54 Prozent des Vortrags und sehe mich gezwungen, Stichpunkte bzw. Satzfetzen mitzuschreiben. Ich bin sehr gespannt, wie die Klausuren aussehen werden. Bei der Einschreibung erfuhr ich, dass es seit Beginn des Hochschuljahres 07/08 auch Tests à l'enseignement américain gibt: Multiple choice.
Das ermöglicht eine Überleitung zun den zahlreichen Optionen, über die ich hier bei der Einschreibung verfügte. ERASMUS-Leute haben es relativ leicht, muss ich sagen. Ich wurde ins dritte Jahr meiner License-Studien eingestuft, ainsi; ich kann an allen Veranstaltungen im Bachelor teilnehmen. Egal, ob ich vom Stoff aus höheren Semestern Ahnung habe oder nicht. Der Satz: "je suis étudiant ERASMUS" hilft eigentlich immer weiter, sowohl bei Besuchen im Sekretariat als auch in geschriebener Form bezüglich Emails an Dozenten usw. Neben den sozialwissenschaftlichen Veranstaltungen besuche ich einen Sprachkurs für ausländische Studierende, der übrigens kostenlos ist. Und Studiengebühren gibt es hier nicht [...].

La vie étudiante

Nachdem ich also das meiste geregelt habe, abgesehen von der Tatsache, dass ich noch immer keinen Schlüssel zu meinem Briefkasten besitze, möchte ich die Lustbarkeiten des französischen Studentenlebens erfahren. Die Lektüre des Werkes "Siddhartha" von Hesse ließ mich einsehen, dass das materielle und fleischliche Leben eine wichtige Phase im Prozess des Findens zu sich Selbst darstellt. Hesse formuliert das schöner. Ich berichte euch also von den points d'inflexion, sobald sich welche ereignen.

Donnerstag, 7. Februar 2008

Lukas in Strasbourg

Ich befinde mich diesseits der französischen Grenze.
Dieser Satz ist paradox. Aus meiner Sicht befinde ich mich auf französischem Staatsgebiet, aus eurer Sicht kann ich in Freiburg, Kehl oder Passau sein. P1020242
En fait, il y a trois jours que j'ai pris mon studio dans la rue du Vieil Armand à Strasbourg!
Das lange Warten hat ein Ende. Irgendwann im Mai begann ich mit den Vorbereitungen. Damals war alles ganz einfach: Die ERASMUS-Koordinatorin des Instituts für Ethnologie in Münster hatte nichts gegen meine Reisepläne einzuwenden. Das Studium und, ganz konkret, die Inhalte meiner Lehrveranstaltungen im Ausland interessieren in Münster niemand. Mein Bacherlor-Studiengang verlangt keine weiteren Leistungen während meiner Abwesenheit, d.h. die Module im Inland kann ich auch anschließend beenden. Letztendlich studiere ich hier zum Vergnügen, und das macht wirklich Spaß! Bisher. Die französischen Studierenden zahlen keine Studiengebühren. Trotzdem leistet sich die Université Marc Bloch ca. 5 Sprachkurse in der Woche für ausländische Studierende wie mich.
Im April habe ich eine Blockveranstaltung in Münster. Und ich lasse mir etwas einfallen. Irgendwie bekomme ich euch alle an einen Tisch, am liebsten in einen Whirlpool. Aber das wird eng.
Bien à vous,
Lukas

Image accidentelle

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In Other Wor(l)ds !!

… something to say about France and the French: chic, smart, sexy, bureaucratic, pavements studded with dog poo, baguettes that dry out by lunchtime… (Lonely Planet)

A propos...

Mein Lesestoff

Gérald Bronner
L'empire de l'erreur

Jacques Prévert
Paroles

Anne Guglielmetti
Les pierres d'attente

Christoph Weischer
Sozialforschung

Claude Roy
A la lisière du temps

Musikliste

Thomas Versen
4

Eef Barzelay
Bitter Honey

The Cinematic Orchestra
Ma Fleur

Hot Chip
Made in the Dark

Clem Snide
Soft Spot

Culture de Cafés

Ich weise euch auf folgende Cafés in Strasbourg hin, die ich besucht habe und unglaublich gerne weiterempfehlen möchte: "L'Artichaut" +++ "Le Café des Anges" +++ "La Taverne francaise" +++ "Marché Bar" +++ Le thé des muses +++

Adresse

Studio #252 +++ Résidence universitaire "Les Cattleyas" +++ 2, rue du Vieil Armand +++ 67100 Strasbourg-Neuhof +++ France

Status

Online seit 6273 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 9. Jul, 11:14

Credits

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